Schweizerische Vereinigung der Weinfreunde

(ANAV)

 

Sektion Weingilde Gallus - Berichte & Fotos

 

WEINGILDE GALLUS: setzte während 4 Tagen auf ihrer traditionellen Weinreise auf grossartiges Verwöhnen. Diesmal im Valtellina, einer Perle von einem West-Ost-Tal an der Grenze zu den Bündner Alpen, kulinarisch, önologisch wie auch landschaftlich bei schönstem Sommerwetter, stets locker und frohgelaunt.

Pünktlich um sieben Uhr in der Früh fuhr der Bus von Berneck los. 42 aufgestellte Mitglieder der Weingilde Gallus füllten ihn bis auf den letzten Platz – Notsitz inbegriffen. Es ist jedes Jahr das Gleiche: Kaum sind die tollen Weinreisen ausgeschrieben, sind sie schon ausgebucht. Es sei verraten: Auch die diesjährige war sensationell – und alle freuen sich bereits auf die nächste!

 

Wir schreiben Donnerstag, den 17. August, und unser Ziel ist das Veltlin. Gildenmeister Franz Bertsch begrüsste uns ordentlich – und los ging’s. Reiseleiter war Felix Indermaur, seines Zeichens Gildenrat und Erster Weinmagister. Dieser machte uns gleich mit den Koordinaten vertraut: Wir hätten auch den Zug nehmen können, erklärte er uns, wenn die zaudernden Politiker endlich grünes Licht gegeben hätten für den Bau der Ostalpenbahn, den sich die Bündner seit über 150 Jahren wünschen. Eine direkte Verbindung von Chur bis Chiavenna. So mussten wir halt das Oberhalbstein hinaufkurven, um auf der Julierpasshöhe den ersten Halt zu machen. Nein, nicht primär für eine Pinkelpause, sondern für einen verschworenen Auftritt: Angestachelt von Zeremonienmeister Charles Martignoni, erscholl aus 41 Kehlen ein herzhaftes «Happy Birthday, dear Christian» – sehr zur Überraschung von «past President» Christian Gerber, unserem Gildenmeister a.D. Erst jetzt outeten wir uns, dass wir sehr wohl wussten, dass er an diesem Tag Geburtstag hatte. An der frischen Bergluft gab’s dann Weisswein, offeriert von Erika Brülisauer und Simon Federer, und feinste Häppchen, beigesteuert von Zakia und Christian Wurster. Es war der Auftakt zu zahllosen dionysischen und lukullischen Genüssen.

So richtig zur Sache ging’s dann ennet dem Maloja in der Kellerei Mamete Prevostini in Mese bei Chiavenna. Mamete Prevostini, der Leiter des Familienunternehmens, nahm sich persönlich unser an mit einer Weindegu vom Feinsten. Zwölf Weine - ein weisser, ein rosé, die übrigen rot - wurden uns angeboten. Wir merkten bald: Wir sind im Nebbiolo-Land angekommen. Nebbiolo, hier Chiavennasca genannt, ist die weitaus verbreitetste Rebensorte im Veltlin, neben dem Piemont eine der wenigen Regionen, wo sie gedeiht. Die Veltliner Weine sind vergleichsweise leichter, herber, kantiger als die wuchtigen, kräftigen Piemonteser.

Zu kosten bekamen wir unerwartete, modern gekelterte Weine – ist doch Mamete Prevostini unter den Veltliner Winzern und Önologen das Zugpferd für neue Technologien. Mit seinen Gewächsen hat er ein ganz hohes Niveau erreicht und beweist so das grosse Potenzial des Veltliners. Die Hazienda in Mese (Sondrio) ist nicht sein einziger Betrieb, im Veltlin hat er weitere, aber in Mese fing alles an. Seine Grosseltern begründeten hier eine Art Agriturismo. Anstoss dazu gab ihr Crotto, eine natürliche Aushöhlung zwischen den Felsen, in der das ganze Jahr eine frische Brise für konstante Temperatur und Feuchtigkeit sorgt. In diesem natürlichen Kühlschrank lagerten sie Gemüse, Käse, Wurst zum Verkauf. Heute sind es die besten Jahrgänge der Kellerei, die im Crotto ruhen – sowie die Familiengeschichte der Prevostini.

Auch eine historische Trattoria gehört zur Hazienda; sie wird von seiner Schwester Michela geführt. So kamen wir zu einem Mittagessen von höchstem Genuss, selbstverständlich mit lokalen Spezialitäten wie Pizzoccheri und Guancialetto di Vitello mit Polenta alle due Farine. Einfach köstlich!

Nach so viel Lust tat ein Spaziergang überaus wohl: Wir wurden durch die Sehenswürdigkeiten des reizvollen historischen Städtchens Chiavenna geführt. Und – oh Wunder! – am Schluss landeten wir bei der nächsten Degustation: bei den Weinen von Maurizio Hermau. Seine Familie hat sich seit gut zehn Jahren dem Ziel verschrieben, den Weinbau im Valchiavenna neu zu beleben. Und das ist gut so.

Vorbei sind die Zeiten, als die Schweiz im Bündnerland unisono «Alles fährt Ski» sang und begeistert «Stägafässli» trank. Wein muss heute höheren Ansprüchen genügen. Die Weinregion Valchiavenna/Veltlin hat die Zeichen der Zeit erkannt, und für diese Entwicklung steht beispielsweise die Familie Hermau. Neues wird ausprobiert. Zwar wird die autochthone Traubensorte Nebbiolo immer im Vordergrund stehen, aber neu kommen vor allem Gewürztraminer und Piwi-Sorten dazu – es wird strikt auf biologischen Anbau gesetzt. Auch beim Keltern wird ausprobiert; hoch im Kurs stehen Amphoren. Naturweine, Schaumweine und Orange-Weine sind solch neue Produkte. Dazu Felix Indermaur: «Es sind oft Leute, die vom Rand kommen und keine bekannten Namen tragen, die für Innovation stehen». Und er fügt an: «Danke, Maurizio, dass ihr das probiert».

Und weiter ging’s – bei Gewitterregen – zu unserem Hotel Campelli in Albosaggio (Sondrio), wo wir zum Abendessen die nächste Verkostung genossen. Winzer Giulielmo Giuseppe vom Weingut Buffalora präsentierte seine umweltschonend produzierten Weine aus dem DOCG-Gebiet Valtellina Superiore. Voller Respekt vor der Natur lautet sein Credo.

Am Freitag, 18. August, nahmen wir uns das Valtellina Superiore selber vor. Unser Ziel war das Convento San Lorenzo, ein erhabener Ort mit prächtigem Ausblick talauf, talab und auf Sondrio zu unseren Füssen. Die aus dem 11. Jahrhundert stammende Baute wurde zuletzt von den Menzinger Schwestern aus dem Kanton Zug als Kloster genutzt; 2009 mussten sie aber aus «Nachwuchsmangel» aufgeben. Die Räumlichkeiten und vor allem der dazugehörige Rebberg wird seit einigen Jahren von Mamete Prevostini bewirtschaftet, der uns hier abermals begrüsste. Die Lage der Weinberge ist perfekt. Völlig nach Süden ausgerichtet, werden sie von morgens bis abends von der Sonne verwöhnt. Es sind sehr steile Hänge, deshalb werden die Reben auf Terrassen kultiviert, die von jahrhundertealten Steinmauern gestützt werden. Wir Gildenmitglieder, fachkundig wie wir sind, stellten Mamete so viele Fragen zur Knochenarbeit im Rebberg, dass er uns, insbesondere Kaspar Wetli, als Erntehelfer glatt eingestellt hätte. Gewiss verkosteten wir auch seine hiesigen Weine. Es sind gut strukturierte Gewächse mit angenehmen Tanninen und aromatischer Tiefe.

Das Mittagessen war der nächste Höhepunkt – auch im wörtlichen Sinn. Hoch oben im Ristoro Castel Grumello genossen wir phantastische Ossibuchi. Das war allerdings kein leichtes Gepäck für die nachfolgende Besichtigung der Kellerei Nino Negri in Chiuro – umso mehr als Monica, unsere vitale Führerin, keine Gnade kannte. Sie brachte uns alles bei, alles. Und Weinmagister Felix Indermaur übersetzte alles auf Deutsch, fast alles. Das Valtellina ist schon von der geografischen Lage her ein Phänomen: Vom Stilfserjoch bis zum Comersee 150 km lang, ist das Ost-West-Tal auf der einen Seite ganz nach Süden ausgerichtet. Monica sagte stolz, dass dieses Alpental so viele Sonnenstunden zählt wie Sizilien. Und dass – dank des Breva-Winds vom Comersee her – trotzdem nachts angenehme Temperaturen herrschen. Das ermöglicht frische Weine von grosser Eleganz und Harmonie, die sehr gut kombinierbar sind, begonnen mit Antipasti bis zum Dessert.

Und weiter ging’s zum Weingut Triacca – zum Betrieb «La Gatta» in Bianzone. Auch dies ein ehemaliges Kloster mit repräsentativen Räumen und einem 500 Jahre alten Keller. Giovanni Triacca, der die Firma in vierter Generation führt, kramte in seiner Puschlaver Familiengeschichte. «Der Wein schmeckt viel besser, wenn man Gebiet, Geschichte und Leute kennt», davon ist er überzeugt. Noch heute ist der Familienbetrieb in beiden Ländern verwurzelt. So gehen 65 Prozent der Triacca-Weine in den Schweizer Markt. «Aber das Image des Veltliners muss sich weiter verbessern», meint er. Gesamthaft verfügt das Veltlin auf der sonnigen Talseite über 800 Hektar Reben, davon sind 90 Prozent Nebbiolo, der wenige Weisswein ist vor allem Chardonnay und Sauvignon Blanc. Wir degustierten die Palette seiner vorzüglichen Weine und freuten uns besonders über den Sforzato, den Giovanni Triacca als den König der Veltliner Weine bezeichnet.

Am Samstag, 19. August, ging’s morgens nach Chiuro zur Weinkellerei Pietro Nera. Der familiengeführte Betrieb vinifiziert jährlich rund 40'000 Hektoliter Wein, vor allem mit der Herkunftsbezeichnung Valtellina DOCG und teils DOC. Uns wurde bewusst, wie wichtig dem Betrieb die DOCG-Zertifizierung mit der überprüfbaren Seriennummer auf der Etikette ist. Nahegebracht wurde uns auch, wie aufwendig und kostspielig hier die Arbeit im Rebberg ist – etwa die Instandhaltung der über 250 000 Trockenmauern, die sich über eine Länge von 2500 Kilometern erstrecken, oder die Arbeit am Steilhang, an denen über 70 Prozent der Reben gedeihen. 1400 Arbeitsstunden kommt auf einen Hektar – zum Vergleich: Im Rheintal sind es 500. Nicht umsonst spricht man hier von «Viticultura eroica», vom heldenhaften Weinbau.

Das Mittagessen gab’s bei Anna Bertola in der Locanda Altavilla in Bianzone und zwar Buchweizen-Crêpes mit Pilzen sowie Rosmarin-Risotto. Beides ein Gedicht! Dies war die perfekte Ausgangslage für den anschliessenden Spaziergang zum Weingut La Torre von Marcel Zanolari. Auch dieser Betrieb hat dies- und jenseits der Grenze je ein Bein: Das eine hier in Bianzone, das andere in Poschiavo, wo sein Vater Giuliano die Stellung hält. Marcel und Giuliano teilen eine Leidenschaft: das Experimentieren und Suchen nach naturnahen Methoden. Der Betrieb ist zertifiziert als biologisch-dynamisch und auch als Demeter. Marcel betreibt sein Weingut speziell nach den Grundsätzen von Rudolf Steiner. Auffallend waren auch die vielen Amphoren, mit denen er im Keller experimentiert. Der Besuch gestaltete sich zu einem wahren Happening. Marcel Zanolari liess uns alles probieren, was er im Keller hatte, jeden Wein in jedem Stadium. Der Winzer und Önologe sprudelte vor Engagement und Begeisterung.

Und dann wurde es richtig feierlich! Die vergnügliche Reise wollte auch mit einem Gala-Diner gekrönt werden. Frisch herausgeputzt und mit dem Gildenorden behangen, setzten wir uns im Ristorante San Carlo in Chiuro an die Tafel. Das Beste aus Küche und Keller wurde aufgetragen – zum Hauptgang Tagliata d’anatra al lampione con insalatina di songino e la sua citronette – und ganz zum Schluss ein köstlicher Sforzato.

Sonntag, 20. August, war der Heimreisetag. Über Tirano und Campocologno kehrten wir in die Schweiz zurück, wo in Poschiavo die letzte Weinprobe auf uns wartete. Im Weinhaus La Torre von Marcel Zanolari, beziehungsweise bei seinen Eltern, kehrten wir ein und kosteten die ganze Palette seiner Weine, vom Bianco da Nero bis zum Sforzato. Nicht weniger aber verdiente der Ort Poschiavo unsere Aufmerksamkeit: Ein geführter Rundgang durch enge Gassen und über prächtige Plätze des unter Schutz stehenden Städtchens führte uns seine historische Bedeutung vor Augen. Und ganz zum Schluss kam inmitten der alpinen Kulisse nochmals mediterranes Lebensgefühl auf: eine feine Saltimbocca im Ristorante Croce Bianca.

Danach aber war der Stalldrang nicht mehr zurückzuhalten. Nonstop ging es heimzu nach Berneck, wo wir mit Hektolitern erbeuteten Weins wohlbehalten ankamen. Ganz herzlichen Dank für die erlebnisreichen Tage, lieber Felix Indermaur, und auch Petra Schlegel für die administrative Unterstützung!

Bericht: Hildegard Jutz  Fotos: Stefan Schreiber

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