Schweizerische Vereinigung der Weinfreunde

(ANAV)

 

Sektion Weingilde Gallus - Berichte & Fotos

Berneck: Rund alle zwei Monate treffen sich Mitglieder und Gäste der Weingilde GALLUS zu einem ungezwungenen Degustationsabend im St. Galler «Haus des Weins» in Berneck, der grössten Weinbaugemeinde des Kantons. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich – aber jeder und jede bringt eine persönliche Flasche Wein zur Verkostung.

Entstanden aus der Idee heraus, das im 2019 durch den Kanton St. Gallen geförderte und «St. Galler Wein» als Leuchtturmprojekt neu eröffnete «Haus des Weins» zu beleben, wurde als Versuch der «Gilden-Stamm» initiiert. Mit einem kleinen Unkostenbeitrag zur Nutzung der tollen Infrastruktur und einer Flasche Wein ist man dabei, jeweils von 19:00-22:00 Uhr, eine ordentlich überschaubare Zeit.

  

Die Freude beginnt daheim

Längerfristig oder spontan stellt man sich mit der Frage, was wohl diesmal offerieren? Soll’s weiss oder rot sein, ein Schaum- oder gar mal ein Dessertwein? Eine Urlaubs- oder Weinreiseerinnerung? Ein Einheimischer, ein Süd- oder Nordeuropäer oder mal was ganz Verrücktes? Eventuell ein «Kellerblümchen» wie’s in der Ausschreibung steht? Doch was ist damit gemeint? Da erinnert man sich an die Zeit der Tanzabende im Jugendlager wo immer die gleich Hübschen aufgefordert und die Mauerblümchen unbeachtet sitzen gelassen und lediglich auf die seltene Chance der Damenwahl zu warten hatten. Ja, genau sowas Vergessenes, in jener dunklen Kellerecke liegengelassenes Fläschchen, die Etikette kaum mehr lesbar, der Jahrgang verbleicht, der Inhalt geheimnisvoll, ja das könnte es doch sein. Doch halt, mein Weinfreund Raphael ist diesmal nicht dabei, den wollte ich an meinem möglicherweise verkannten «Kellerblümchen» auch teilhaben lassen, die Flasche muss sich noch ein wenig gedulden und so fällt diesmal meine Entscheidung auf einen Weissen welcher korrekt temperiert mitzubringen ist.

21 Verschiedene Weine

Am heutigen Abend kommen einundzwanzig auf Genuss neugierig eingestimmte TeilnehmerInnen. Die Flaschen werden auf einen Tisch gestellt, durch den ersten Weinmagister Felix Indermaur gesichtet und in eine trinkgünstige Reihenfolge gestellt. Gildenmeister Franz Bertsch heisst herzlich willkommen zu einem wiederum wahrscheinlich grossartigen Überraschungsabend und übergibt an Weinmagister Felix. Die schöne Flaschenreihe begutachtend beginnt er mit den Worten «I freu mi uusserordentli uf dä hüütig Obed mit därä unglaublichä Vielfalt!» und fährt fort, dass es an einem normalen Themenabend gar nie möglich wäre, und überhaupt, einen solchen Degustationsreichtum in so kurzer Zeit und das alles ohne Vorbereitung zu geniessen. In einer ersten Runde werden individuell die Weissen verkostet, darüber geredet, eine Flasche ist der Isolation wegen noch in Zeitungspapier gewickelt, was mag es wohl sein? Immer eine spannende Frage.

Probieren nach Belieben

Nachdem alle von allen (Weissen) gekostet haben, übernimmt Weinmagister Felix die Würdigung jeder einzelnen Flasche. Beschreibt mit aussergewöhnlich hohem Fachwissen die Aromen, Mineralität, Trauben, spricht über Anfälligkeiten und Pflanzenschutz, Vinifikation, Entwicklung im Gaumen, den Jahrgang mit speziellen Wetterkapriolen. Oft weiss er auch über den Winzer, ja Generationen zu berichten. Nicht nur Schweizer sind ihm bekannt, die Gegend mit deren Geschichte, das besondere Klima, geniesst nochmals einen Schluck und wirft dann die Frage in die Runde «wer hat diesen grossartigen Wein mitgebracht? Vielen Dank dafür, und warum hast du uns genau den mitgebracht?». Dann folgen die so persönlichen Geschichten und Überlegungen, die man sich schon daheim beim Aussuchen gemacht hat. Beispielsweise den Keller der Mutter geräumt und dabei einen 88er «Buechberger RxS» gefunden um gemeinsam zu erfahren, was daraus geworden, erkennbar und überhaupt noch ist. Oder eine spontane Urlaubsentdeckung zum Apéro die überzeugte, eine besondere Erinnerung an eine der gemeinsamen schönen Weinreisen.

Spannend dann die Würdigung der Flasche mit unbekanntem Inhalt, weil ja noch in Zeitung gewickelt. Mit einem verschmitzten Lächeln und mit Hochgenuss hält Felix seine Nase ins Glas, schwenkt, kostet, rollt im Gaumen, schmatzt, hebt die intensive Farbe wie auch die Aromen nach Aprikosen, Pfirsich und Blüten hervor, wir alle gespannt, was mag es sein. Ein Sauvignon?, nein meint Felix, dazu fehlen ihm die meist typisch grasigen Noten, Chardonnay?, könnte aber doch eher nicht. Er berichtet von einer Traubensorte, in den 80er Jahren an der französischen Rhone fast ausgestorben und wiederbelebt, bei uns im äussersten Osten der Schweiz doch eher unbekannt. Die Weinreisenden von Genf und Waadt könnten draufkommen? Genau, ein sehr aromatischer, kräftiger Viognier, das Rätsel gelöst, die Flasche leer.

Der Abend endet in rot

Im zweiten Teil wiederholt sich das Procedere mit den Roten. Alle verkosten individuell, riechen, schlürfen, loben, animieren bei der einen oder anderen Flasche zu einem zweiten Schluck, fragen «hast du den schon probiert?». Weinmagister Felix übernimmt erneut und würdigt intensiv Flasche um Flasche. Ehrfürchtig, ja bedächtig wird mit einem Bordeaux aus dem Saint-Emillon von 1950 umgegangen. Ganz grossartig, dass wir eben gerade an einem Gilden-Stamm solche Raritäten zu kosten kriegen, grosse Freude daran haben, und das nicht zum ersten Mal. Der Spender erzählt, wie er, damals geschäftlich, zu diesem Wein gekommen ist und wie gern er ihn jetzt mit uns geteilt hat ohne zu wissen, ob und wie er noch zu geniessen sei. Und ob er das war! Ist auch ein Risiko eingegangen denn wie er noch verriet, war eine der drei Flaschen ungeniessbar. Auch das kann passieren, wie an diesem Abend mit einem Wein welcher uns auf die kommende Weinreise nach Kroatien einstimmen sollte. Darüber aber braucht sich der Spender nicht zu schämen, er hat den Wein ja nicht gemacht und für Weinliebhaber gehört es dazu, sich auch mit Fehltönen sachlich auseinanderzusetzen und zu lernen.

Zum Abschluss ein Dessertwein und die Feststellung, es war zum Wiederholten Male ein grossartiger Abend mit einer enormen, ja einzigartigen Auswahl ausgezeichneter, ja teils hervorragender Weine. Jede und jeder möchte gerne etwas ganz Besonderes mit anderen teilen und freut sich sehr darüber, wenn das Ausgesuchte positiv angekommen ist. Der Abend in dieser einmaligen Dimension gelingt Dank der aussergewöhnlichen Fachkompetenz, des breiten Wissens und auffälligen Langzeitgedächtnisses unseres ersten Weinmagisters Felix Indermaur. Mit Witz, Charme, Überzeugung und enormer Spontanität lässt er einen solchen Abend für alle Geniessenden im Fluge vergehen. Und so scheint sicher, solange das Interesse besteht, solange leben diese grandiosen Abende weiter. Dank allen Teilnehmenden und insbesondere ein ganz grosser Dank an Weinmagister Felix. (text charles martignoni)