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Schweizerische Vereinigung der Weinfreunde

(ANAV)

 

Prix Ami du Vin

Er fand heraus, dass der Cornalin im Wallis kein Cornalin und der Completer nicht nur im Bündnerland zuhause ist. Deshalb – und für seine vielen anderen Forschungen zur Abstammung von Traubensorten – erhält der Walliser José Vouillamoz den Prix Ami du Vin der Schweizerischen Vereinigung der Weinfreunde.

«Der Completer hat mir die Haare geraubt», witzelt José Vouillamoz. Seinen Kopf bedeckt er unabhängig davon meist mit einem Hut. Nicht, weil er ihn als Markenzeichen betrachtet, sondern weil ihm sonst etwas fehlen würde wie anderen Personen das Mobiltelefon in der Hosentasche. Dass die im Bündnerland beheimatete Traubensorte Completer – die übrigens zu seinen liebsten zählt – an der zurückhaltenden Haarpracht schuld sei, hängt mit dessen Elternschaft an der Walliser Rebsorte Lafnetscha zusammen.

Die Mutter des Lafnetscha ist Humagne blanc, der im Wallis beheimatet ist. «Dass der Completer aus dem Bündnerland einen Ausflug ins Wallis machte, dort mit Humagne blanc zusammen ein Kind zeugte und sich wieder aus dem Staub machte, ist bei einer Rebsorte schwer vorstellbar. Wie kommt also der Completer ins Wallis?» Diese Frage liess den Biologen und Genforscher sich am Kopf kratzen und Haare verlieren. Schliesslich konnte er sie klären. Ein älterer Walliser Winzer zeigte ihm zwei seltene Rebstöcke, die er als grosser und als kleiner Lafnetscha bezeichnete. In der DNA-Analyse zeigte sich aber, dass sie identisch mit dem Completer waren. Ein zweites Puzzleteil lieferte ihm Josef-Marie Chanton, Winzer alter Walliser Weinsorten. Er zeigte ihm eine ‘wilde’ Rebe, die sich ebenfalls als Completer entpuppte. Die Weinsorte war im Wallis vorhanden – wenn auch inkognito. 

Neugierig auf Wein
Seit seinem Biologiestudium setzt sich José Vouillamoz mit der Genetik der Reben auseinander. Er stammt aus einer der wenigen Walliser Familien, die keine Reben besassen. Doch er interessierte sich schon früh für Wein und bat seinen Vater bereits als Teenager, den Dôle bei Marc Raymond zu kaufen, weil er ihn besser fand als andere. «Tatsächlich gehörte Raymond in den 1970er und 1980er Jahren zu den besten Walliser Produzenten», erinnert sich José Vouillamoz.

Als Student, mit wenig Geld, dafür mit dem kleinen Weinführer von Hugh Johnson in der Tasche, machte Vouillamoz sich einen Spass daraus, die Weine mit der maximalen Punktzahl zum günstigsten Preis zu finden. Denn er war neugierig auf Weine von ausserhalb des Wallis und aus dem Ausland. Zudem war er Mitglied in zwei Weinclubs, um sich weiterzubilden. In einem davon, bei Divo, der zugleich auch Weinhandel ist, arbeitet er heute als stellvertretender Direktor. Ausserdem verfasst er regelmässig Publikationen und Degustationsnotizen, ist Mitglied der Académie Internationale du Vin, der Académie du Vin de Bordeaux und des Circle of Wine Writers. Zudem ist er Verfasser zahlreicher Bücher.

Als José Vouillamoz doktorierte, wurde die Elternschaft des Cabernet Sauvignon entdeckt, was ihn fuchste. Dies hätte er gerne selbst herausgefunden. Also bewarb er sich um ein Stipendium des Nationalfonds, um an der Universität of California in Davis bei Professorin Carole Meredith die genetischen Ursprünge der Schweizer Rebsorten zu erforschen. Er sammelte die Rebenblätter in der Schweiz, trocknete und zermahlte sie zu Pulver, das er in die USA mitnahm und dort seine Forschungen machte. «Ich hätte die Forschung auch in meiner Küche im Wallis machen können, aber ein Stipendium des Nationalfonds sieht Forschung und Austausch mit anderen Forschern im Ausland vor. Oft wussten andere Forscher nicht einmal, dass es in der Schweiz Wein gibt», lacht er.

Aus seiner Forschung entstand das Buch ‘Origine des cépages valaisans et valdôtains (Zur Geschichte und genetischen Beziehungen zwischen den Rebsorten des Wallis und Aostatals), das vergriffen ist. Ein Jahr später veröffentlichte er zusammen mit Jancis Robinson und Julia Harding das Standartwerk ‘Wine Grapes’, in dem 1368 Rebsorten detailliert beschrieben sind. 2017 widmete er mit ‘Cépages Suisses’ (Edition Favre, Lausanne) ein Buch den Schweizer Rebsorten. Dieses Buch erschien ein Jahr später im Haupt Verlag in deutsch und 2020 unter ‘Swiss Grapes’ in Englisch.

Cornalin oder nicht Cornalin?
Während seiner Forschungen in Kalifornien fand er unter anderem heraus, dass der im Wallis wachsende Cornalin eine spontane Kreuzung von Mayolet und Petit Rouge und mit dem Landroten oder Rouge du Pay identisch ist. Bis in die sechziger Jahre hiess er nämlich auch so und ist seinerseits ein Elternteil des Cornalin aus dem Aostatal. «Für mich war es emotional sehr belastend nach meiner Rückkehr aus Kalifornien den Wallisern an einer Konferenz mit rund 250 Personen kundzutun, dass die Rebsorte, die im Wallis als Cornalin bezeichnet wird, aus dem Aostatal stammt und die Walliser den Namen aus dem Aostatal gestohlen haben», erinnert sich José Vouillamoz. «Heute ist mancher Winzer froh, dass er zu seinem ‘Cornalin’ den Kunden eine spannende Geschichte erzählen kann», relativiert er das heutige Verhältnis zu den Walliser Winzern.

Wenig erfreut reagierten auch die Toscaner, als Vouillamoz ihnen seine Forschungsergebnisse zu ‘ihrem’ Sangiovese präsentierte: Er hatte herausgefunden, dass die Mutter des Sangiovese aus dem Süden Italiens, aus Kalabrien, stammt. Nachforschungen vor Ort ergaben, dass der Sangiovese unter anderem Namen auch in Kalabrien existierte. «Ein herber Schlag für das Chianti-Gebiet, das auf seine Traubensorte so stolz ist», meint Vouillamoz.

Gentechnik hat einen schweren Stand
Sein Antrieb, die Abstammung und spontane Kreuzungen von Traubensorten herauszufinden und oft auch per Zufall auf Zusammenhänge zu stossen, stamme aus dem Bedürfnis, seinen Alkoholismus zu verbergen, spöttelt José Vouillamoz. Der Alkohol und der daraus resultierende Schwips sei aber wohl der Ursprung für die Domestizierung der Reben, ein Thema, zu dem er Forschungen im Nahen Osten betrieb. Auch er selbst geniesst gerne eine gute Flasche Wein.

Selbst Trauben zu kreuzen ist für den Genetiker nicht interessant. Um der Klimaerwärmung und den daraus resultierenden Schwierigkeiten für den Rebbau zu begegnen, würde er auch die Möglichkeit untersuchen, die genetische Biodiversität der Traubensorten zu studieren, denn «in einem Burgunder wird auch in 50 Jahren noch Pinot Noir stecken, alles andere ist nicht vorstellbar», meint Vouillamoz. Um den Pinot Noir den veränderten Umweltbedingungen anzupassen, müsste man mehrere Unterlagsreben für jeden Klon testen und die genetische Vielfalt nutzen, die es bei der Rebsorte Pinot Noir bereits gibt. Eine andere Möglichkeit wäre, gentechnisch veränderter Pinot (GVO) Pinot Noir zu erstellen. Dies sei aber nicht nur sehr teuer, sondern es sei auch eine emotionale Frage. «Pflanzen genetisch zu modifizieren, macht Angst, weil das Wissen darüber in der Gesellschaft nicht vorhanden ist», ist er sich bewusst. «Unwahrheiten zu verbreiten ist einfach, aber mehr als fünf Minuten etwas zu erklären, ist schwer», beurteilt er die Zukunft der Gentechnik in der Schweiz. Bislang muss José Voillamoz sich aber nicht damit herumschlagen, denn es gibt noch genügend Traubensorten auf der Welt, deren Ursprünge noch nicht geklärt sind.